Symposium 2012 // Räume, Orte, Kollektive

Symposium
Sonntag 24. Juni 2012, 11.30 Uhr

Im Nirgendwo, in „eine[r] falsche[n] Gegend“, „an eine[r] Stelle der Welt“, die es erlaubt „drei Minuten“ nachzudenken, beginnt die Desertion: Fatzer scheißt auf die Ordnung der Welt und seine Kameraden machen es ihm zunächst nach. Brechts Fragment, das vom Untergang des Egoisten Johann Fatzer berichtet, untersucht dabei auch in immer neuen Ansätzen das Verhältnis von (Un-)Ordnung, (Ent-)Ortung und ihre Potentialität für die Verhandlung des Kollektiven.

So führt Fatzers Rundgang durch die Stadt Mülheim ihn auf die Szene der Menge und der Vielen, und richtet zugleich die Aufmerksamkeit auf den Gang selbst, mit dem Fatzer die Stadt vermisst. Die Stadt ist dabei zugleich der Ort eines neuen Menschen, des „Massemenschen“, dessen Konturen Johann Fatzer bereits in der Gegenwart zu erkennen glaubt. Der vermeintlichen Offenheit der Straße als eines Ortes des Kollektivs und der Menge steht währenddessen die Beengtheit der Kellerwohnung gegenüber, in der die Deserteure auf die Revolution warten und sich an die Gurgel gehen.

Doch nicht nur in der Vergangenheit der Geschichte liegen die Orte des Fatzer-Fragments. Als Ort eines zukünftigen Theaters beschreibt der Fatzer-Kommentar zum Beispiel das Pädagogium: „Wenn einer am Abend eine Rede zu halten hat, geht er am Morgen in das Pädagogium und redet die drei Reden des Johann Fatzer. […] wenn einer am Morgen einen Verrat ausüben will, dann geht er am Morgen in das Pädagogium und spielt die Szene durch, in der ein Verrat ausgeübt wird. Wenn einer abends essen will, dann geht er abends in das Pädagogium und spielt die Szene durch, in der gegessen wird.“ Das Fatzer-Fragment stellt Fragen nach einer theatralen und performativen Praxis außerhalb des geschlossenen Repräsentationsraums des Theaters und erweist sich als Frage nach dem Ort des Theaters überhaupt. Und nicht zuletzt ist da der durch Brechts Schreiben entstehende Text-Raum des Fragments selbst, der die Frage des Kollektivs verhandelt.

„Die Erkenntnis kann an einem anderen Ort gebraucht werden, als wo sie gefunden wurde.“ – diese Notiz aus dem Fatzer-Fragment nimmt das Symposion als Einladung, gemeinsam der Verbindung von Räumen, Orten und Kollektiven nachzuforschen. Denn, so die These: Die Frage nach dem Raum und dem Ort ist im Fatzer-Fragment zugleich eine Frage nach dem Kollektiv, seinem Auftritt ebenso wie seiner Abwesenheit oder seiner Konstitution. Brechts Notiz folgend wird zugleich nach den Möglichkeitsräumen zu fragen sein, die sich an der Schnittstelle von gegenwärtigen Aufführungs- oder Inszenierungsformen und Brechts vielleicht radikalstem Experiment öffnen. Wo und wie können die Widersprüche, Paradoxien und Spannungen, die Brecht in Fatzer festhält heute gebraucht und produktiv gemacht werden? Welche Perspektive erlauben neuere theoretische wie praktische Ansätze für die Beschäftigung mit Brechts Text und welche Perspektiven eröffnet Brechts Text für die Gegenwart?

Mit Ole Frahm, LIGNA, Berlin | Dr. Ralph Fischer, Evang. Stadtakademie Römer 9, Frankfurt | Dr. Frank Ruda, Eva Heubach FU Berlin | Christine Standfest, Performerin und Theoretikerin, Wien | Michael Wehren, Universität Leipzig

Zweite Mülheimer Fatzer Tage
Bertolt Brecht
Theater, Performance, Symposium → 22.-24. Juni 2012

Eintritt frei

Ort Ringlokschuppen | Am Schloß Broich 38 | 45479 Mülheim an der Ruhr