House for Sale

René Pollesch

Theater
Donnerstag 02. Oktober 2014, 20.00 Uhr
House For Sale, Copyright Lenore Blievernicht

T: Oh, liebe Schwestern, unser Leben ist noch nicht zu Ende. Wir werden leben! Und was wächst und stärker wird, ist nur der eine Traum...

S: ...das Haus verkaufen, mit allem hier Schluss machen und einfach mal jemandem eine reinschlagen

M: Ja, gut, aber man kann doch auch erst mal reden mit den Leuten!

S: Neinnein, auch um intensive und befriedigende Beziehungen zu führen ist die schlechteste Idee, tiefsinnige Gespräche zu führn und sich dabei gegenseitig in die Augen zu sehen. Nein! Händchenhalten, sich dabei Rücken an Rücken stellen und ordentlich austeilen! So müsste man’s machen!

T: Ja nun, lasst uns ein bisschen philosophieren.

M: Worüber? Oh ja, lasst uns träumen... Zum Beispiel von dem Leben, das nach uns sein wird, in zweihundert, dreihundert Jahren.

S: Der Mensch wird nach wie vor einfach nicht sterben wollen. Alle wollen am Leben bleiben, aber nicht aus Freude am Leben, sondern aus reiner Bösartigkeit, um alle andern zu überleben. Man hat doch mal das, was man so erreicht hat im Leben, an die nächste Generation weitergegeben, und war froh darüber, dass es weitergeht. Und blickte mit einer gewissen Wehmut und sehnsüchtiger Liebe auf die Heranwachsenden. Mit Nachsicht auf ihre Fehler. Auch wenn man selber alt war, hat man nicht mit Neid auf die Jugendlichen gekuckt, die vor Kraft strotzen. Aber mittlerweile hängen die Alten an den Jugendlichen wie die Vampire. Weil sie bloß ja nicht sterben wollen. Dann liegt da auch kein Fünfzigjähriger neben einem im Bett, sondern ein Zwanzigjähriger. So wie bei mir. Das ganze Bett voller Zwanzigjähriger. Keiner will mehr wie ein Alter leben.

T: Welch ein Unterschied zwischen dem, was ist und was war! Vor hundert Jahren dachte man doch ganz anders. Der Philosoph Tschechow sagte zum Beispiel: In zweihundert, dreihundert Jahren wird man unser heutiges Leben ansehn mit Schrecken und einem spöttischen Lächeln, alles Heutige wird ungeschliffen erscheinen, schwerfällig, sehr unbequem und merkwürdig. Verzeiht, ich philosophiere schon wieder. Ich habe schreckliche Lust zu philosophieren, ich bin gerade in der Stimmung.

M: Heißt es nicht bei Shakespeare: „Mir scheint, der Mensch muss gläubig sein oder muss nach einem Glauben suchen, sonst ist sein Leben leer, leer...“

S: Ein sehr schöner Gedanke. Ja, die Religion, sie war doch mal in eine bestimmte kulturelle Lebensform integriert. In Bayern war man katholisch und in Tibet war man Buddhistin. Und jetzt kann sie als dieselbe Religion in verschiedenen Kulturen überleben. In dieser neuen Ordnung hat die Religion jetzt zwei mögliche Rollen zur Auswahl: eine therapeutische und eine kritische. Entweder sie hilft den Menschen dabei im Rahmen der existierenden Ordnung besser zu funktionieren, also ein schwer beschäftigter Hollywoodschauspieler macht sich mit Buddhismus und Meditation für die Zumutungen des neoliberalen Alltags fit. Oder die Religion spielt die Rolle des Ketzers. Und bietet einen Raum für abweichende kritische Stimmen. Was nicht so einfach ist!

B: Wie heißt es doch in der Bibel? Auf dass uns nicht Gerechtigkeit zuteil wird!

S: Ja, ganz genau, Big Earl! Die Kinder dieser Welt sind im Umgang mit ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichtes. Und das Gefährliche ist aus ihnen einfach nicht rauszuhalten. Der Verwalter aus dem Gleichnis Evangelium Lukas, Kapitel 16 sichert sich nicht durch Mitmenschlichkeit seinen Zugang zu den Häusern der anderen, sondern indem er trickst. Indem er Schuldscheine fälscht. Er appelliert nicht an die Nächstenliebe. Trotzdem würde ein evangelischer Religionslehrer zu der Geschichte sagen: Geld ist und bleibt ungerecht. Es kann eigentlich nur richtig zum Nutzen der Mittellosen verwaltet werden. Nein, ganz und gar nicht. Das Gleichnis geht über den, der sich die Türen zu seinen Mitmenschen offen hält durch Betrug. Und nicht damit, dass er das Geld an die Mittellosen verteilt. E r ist der Mittellose, der sich nicht mit Mitmenschlichkeit Zugang zu den Herzen seiner Freunde verschaffen will, sondern indem er kalt betrügt.

M: Es geht im Christentum nicht um Gerechtigkeit. Es geht zuallererst einmal darum, die andere Backe auch noch hinzuhalten. Das Christentum basiert nicht auf Gerechtigkeit, es basiert darauf, dass jemand jemanden verrät, damit überhaupt das Christentum entstehen kann.

T: Das hat mich immer fasziniert, zu erkennen, dass Jesus Christus kein perverses Spiel mit Judas treibt, auch wenn es noch so sehr danach aussieht, sondern etwas, das für die Erfüllung seines Auftrags unerlässlich ist.

S: Der entlassene Verwalter und die Leute, denen er die Schuldscheine fälscht, sitzen doch nicht voreinander und sehen sich tief in die Augen und gucken eindringlich, und hören sich eine tragische Geschichte an, mit nichts als menschlichem Interesse! Das wäre doch unerträglich. Es gibt einen materialistischen Zugang zum subversiven Kern des Christentums. Es muss einfach so sein. Wie kommt es denn sonst, dass ich mich dafür interessiere.

B: Mir geht es nicht um Gerechtigkeit. Man hat allen Anlass, sich vor Gerechtigkeit zu fürchten und sollte nicht zu laut Gerechtigkeit einfordern. Wer weiß, was dabei herauskommt?

Besetzung

Mit: Bärbel Bolle, Christine Groß, Mira Partecke und Sophie Rois

Text und Regie: René Pollesch
Bühne: Bert Neumann
Kostüme: Tabea Braun
Licht: Lothar Baumgarte
Ton: William Minke
Musikarrangement: Roman Ott, Lars Gühlcke
Soufflage: Tina Pfurr
Dramaturgie: Anna Heesen

Ort Ringlokschuppen | Am Schloß Broich 38 | 45479 Mülheim an der Ruhr

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